Einführung:
„Gott ruft sein Volk zusammen“ – „zu einem neuen Bund“ – „Wir sind des Herrn Gemeinde“, haben wir eben gesungen.
Wer ist denn „wir“?
Wir, die wir hier versammelt sind?
Alle, die an Gott glauben, die sich zu Christus bekennen?
Oder nur die, die Mitglied in einer christlichen Kirche sind?
Was ist mit denen, die nicht mehr einer Kirche angehören? Die ausgetreten sind?
Die Frage ist drängender denn je.
Und eine pauschale allgemein-gültige Antwort gibt es nicht. Wie so oft in unserem Christen-Dasein und in unserem Glaubens-Leben müssen wir uns herantasten.
Predigt:
Eine Freundin von mir lebt in Limburg, fast direkt am Dom. Morgens, wenn sie das Haus verlässt, kommt Bischof Bätzing oft mit dem Fahrrad an ihr vorbei. Sie grüßen sich. Bringt sie abends den Müll raus, radelt der Bischof wieder an ihr vorbei. Wieder grüßen sie sich. Eine ganz freundliche und respektvolle nachbarschaftliche Beziehung.
Regelmäßig schickt sie mir über WhatsApp Fotos vom Limburger Dom – Zeichen ihrer Begeisterung für diesen Bau, für die Stadt und für ihr Leben dort in unmittelbarer Nähe zur Kirche – zu ihrer Kirche.
Vor zwei Wochen ist sie aus der Kirche ausgetreten.
Ihr Glaube – sagt sie – hat sich nicht verändert.
Aber sie hat mit vielem an der Kirche gehadert. Mit Strukturen und Hierarchien, Vorschriften und Verboten. Kirche und Katholisches Leben – das war für sie jahrelang erlebtes Regulieren und Moralisieren.
Jetzt kam der Missbrauchsskandal dazu. Die hier und da verunglückte Kommunikation einzelner Bischöfe, innerkirchliche Machtkämpfe, manche überschwängliche Liturgie, viel zu lange Predigten, erhobene Zeigefinger – das erschien ihr ewiggestrig – auf all das hatte sie keine Lust mehr.
An Gott glauben, ja. Aber die Kirche, das war nicht (mehr) ihre Kirche.
Doch kann man im Leben ein Christ sein, wenn man es kirchenrechtlich nicht mehr ist?
Das Evangelium gibt darauf eine erste Antwort:
„Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“.
Ist jemand, der nicht mehr Mitglied im Verein Kirche ist, ein Gegner des Vereins? Ganz sicher nicht.
Darf sich jemand zu Jesus bekennen, der nicht mehr Teil der Kirche Jesu ist?
Ganz sicher ja.
Was ist denn das Entscheidende? – Kurz bevor die Sprache auf diesen Unbekannten kommt, der in Jesu Namen Dämonen austreibt, haben sich die Jünger noch gestritten, wer denn der Größte unter ihnen sei. Das steht nur wenige Verse vorher im Evangelium.
Und – wie um von diesem peinlichen Gerangel abzulenken – machen sie, die vorher noch im Konflikt um die Deutungshoheit waren, plötzlich einen gemeinsamen Feind aus. Der da, der tut Gutes, aber er folgt uns nicht nach. Er macht etwas Eigenes. Das darf doch nicht sein. – Da könnte ja jeder kommen.
Die Zahl derer, die etwas Eigenes machen, die ihren christlichen Glauben leben, ohne dem rechtlichen Rahmen dieses Christen-Dasein – dem Verein „Kirche“ anzugehören – diese Zahl steigt seit Jahren und wird wohl noch weiter steigen.
Wie wollen wir mit ihnen künftig umgehen? Mit dem Finger auf sie zeigen und uns bei Gott beschweren: Hey, die gehören aber nicht dazu. Die folgen uns gar nicht mehr nach. Das dürfen die nicht. Dann kriegen die auch keinen Segen mehr…
Im Nachbar-Seelsorgebereich bereiten wir im Moment 30 Jugendliche auf ihre Firmung vor. Es gehört zur Firmung, dass jeder Firmling einen Paten hat. Ähnlich wie ein Taufpate. Es soll ausdrücken: Du bist nicht allein.
Gott stärke Dich durch die Gaben des Heiligen Geistes. Und ich – Dein Pate, Deine Patin – stehe hinter Dir. Ich stütze Dich und unterstütze Dich in dieser Glaubens-Erfahrung.
Kirchenrechtlich ist es so, dass diese Paten katholisch sein müssen. Das macht irgendwie Sinn, denn wer im christlichen Glauben unterstützen will, sollte selbst einen Bezug dazu haben. –
Was aber, wenn Firmanden zwar einen Paten ausmachen, einen Menschen, dem sie zutiefst vertrauen, der ihnen extrem wichtig ist auch in Glaubensfragen – aber dieser Mensch darf nicht Pate sein, weil er nicht oder nicht mehr der katholischen Kirche angehört…
Was ist wirklich wichtig? Zur Gruppe zu gehören oder Gutes zu tun auch ohne Mitgliedschaft?
Papst Franziskus sagte in seiner Weihnachtsbotschaft Ende des vergangenen Jahres: In der Corona-Pandemie werde die Fähigkeit zu sozialen Beziehungen auf eine harte Probe gestellt.
Es gebe „eine wachsende Tendenz dazu, sich zu verschließen, alles allein machen zu wollen“ – auch auf internationaler Ebene. Der Konflikt mit Russland um die Ukraine ist nur ein Beispiel dafür. Die eigene Machtstellung, die eigenen Interessen überlagern alles.
Dass der Missbrauchsskandal zu vielen Kirchenaustritten geführt hat, ist klar. Ich bin aber überzeugt, es ist kein Zufall, dass die Zahl der Kirchenaustritte gerade in den zwei Jahren der Corona-Pandemie eine nie dagewesene Höhe erreicht hat. Auch, weil sich immer mehr Menschen vereinzeln. So wie die Freundin in Limburg, die sagt: ich brauche das alles nicht mehr. Die Messen, die Gemeinde, die Feiern. Ich glaube auch so an Gott.
Mich schmerzt das. Ganz ehrlich. – Denn ich erlebe – und habe mit ihr zusammen erlebt – gerade durch die Feiern, durch die Gemeinschaft, die Liturgie und den Austausch untereinander eine ganz besondere Spiritualität. Sie lässt mich Glauben nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich und gemeinschaftlich erfahren.
Kirche und Glauben als Gemeinschafts-Erlebnis, das hatten wir auch letzte Woche bei unserem regelmäßigen Männerabend „Bibel & Bier“, den unser Pastoralreferent Jonas Kalkum organisiert. Zwei Stunden in einer Kneipe, Gespräche über Gott und Glauben.
Diesmal waren zwei dabei, die nicht zu unserem „Verein“ gehörten. Die kamen aus einer Freien Evangelischen Gemeinde. Das ist in vielen Bereichen etwas ganz anderes als unser Katholisch-sein. Und ich würde nicht alles unterschreiben wollen, was dort gesagt und getan wird. Aber wir haben dennoch zusammen an einem Tisch gesessen, uns zugehört und ausgetauscht – sehr offen und vertrauensvoll – und von dem jeweils anderen etwas mitnehmen können.
Und dann kommt wir wieder Papst Franziskus in den Sinn, der in seiner Weihnachtsbotschaft nicht nur vor der Vereinzelungs-Tendenz gewarnt hat. Sondern der auch aufgerufen hat zum Dialog. Nur der Dialog führe zu Konfliktlösung. Und „nichts ist verloren, solange man den Dialog praktiziert“. Und sei es nur das regelmäßige sich-grüßen am Morgen vom Fahrrad aus oder abends an der Mülltonne. Dann bleiben wir in Verbindung.
„Lasst ihn Gutes tun, auch wenn er uns nicht nachfolgt“, sagt Jesus.
Selbst wenn wir nicht (oder nicht mehr) dem gleichen Verein angehören: Diese innere Verbindung bleibt.