Lazarus und der Reiche (Lk 16,19-31)

„Die Zeit des Faulenzens ist vorbei“ haben wir eben in der Lesung gehört. Und im Evangelium hieß es: „Zwischen uns und euch ist ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund. – Das sind heftige Worte. Worte, die uns packen, die uns vielleicht auch verunsichern und irritieren. Die gar nicht nach Froh-Botschaft klingen, sondern eher nach einer Droh-Botschaft.

Wobei – das sei angemerkt – diese Perikope, diese Erzählung von dem Reichen und dem armen Lazarus nur bei Lukas vorkommt. In keinem anderen Evangelium. Wir wissen nicht einmal, ob das wirklich halbwegs authentisch ist. Doch darauf kommt es nicht an. Was wichtig ist und damals wichtig war: Diese Gleichnisse, die Jesus erzählt hat und von denen die Bibel berichtet, die sollen die Menschen wachrütteln. Sie wollen etwas verändern.

Ganz sicher will das Evangelium von heute nicht über das Jenseits informieren. Über die Wahl zwischen Abrahams Schoß und Fegefeuer. Das wird uns heute nicht viel sagen. Sondern es geht darum Wirkung zu erzielen. Und Wirkung entsteht durch Spannung, durch Extreme. Die Bibel und die Jesus-Gleichnisse sind voll von solchen Extremen. Um zu erkennen, was hinter den Extremen liegt, schlage ich vor, dass wir uns einige wenige Details ansehen.

Das Evangelium verurteilt nicht den Reichtum. Das Problem ist ja nicht, dass der Reiche in Saus und Braus lebt. Nein, das Problem ist, dass es da ein Gegenüber gibt, draußen unmittelbar vor seiner Tür, ganz in seiner Nähe. So nah, und doch ein unüberwindlicher Abgrund. Es geht darum, dass sein Gegenüber nicht einmal einen Krümel vom Tisch des Reichen abbekommt. Nicht einmal die Reste. Die bekommen eher noch die Hunde.

Auch heute haben wir diese Extreme. Es gibt die sehr Reichen – auch in unserer Gemeine gibt es Menschen, die sehr reich sind. Nochmal: das ist nichts Schlimmes. Reichtum ist keine Sünde. Aber es gibt eben auch die, die sehr arm sind. Die kaum das Nötigste haben. Dass es einen unüberwindlichen Abgrund zwischen diesen beiden Seiten gibt, dass der Reiche den Armen unmittelbar neben ihm nicht einmal wahrnimmt, das ist die Katastrophe. Und der Reiche bekommt diese Katastrophe zu spüren. Und seine fünf Brüder auch, wenn sie sich nicht ändern. Nur sie allein können das, sie entscheiden über ihr Leben.

Lazarus und der Reiche in einer Person – in mir

Ich möchte einmal ein Gedankenexperiment wagen. Wir lesen im Evangelium von zwei Personen. Lazarus auf der einen Seite – Gott hilft, Gott rettet, das bedeutet „Lazarus“ übersetzt, das kennen wir vom „Lazarett“ – und auf der anderen Seite der Reiche, der gar keinen Namen hat. Der reich ist an Geld, reich an sozialen Kontakten, an Netzwerken, der schlemmt, der reich ist an einem scheinbar erfüllten Leben. Was, wenn die beiden gar nicht zwei Personen sind? Sondern eine Person sind? Was, wenn ich diese Person bin? Wenn ich einen Reichen in mir habe und einen Lazarus? Wenn ich reich bin mit meinen Kontakten, im Beruf, im Alltag – aber im Innern arm? Seelisch arm? Spirituell arm? Wenn ich diesen Abgrund in meinem Innern überwinden muss? Und wenn das vielleicht viel schwieriger ist, als den Abgrund zu meinem Nächsten zu überwinden?

Manche Theologen benutzen einen Begriff, der lautet „Die Bibel mit den Füßen lesen“. Also nicht nur mit den Augen lesen und verstehen, sondern ich nehme die Texte bewusst war, und sie wandern vom Kopf bis in die Beine. „Beine machen“ sagen wir auch dazu. Die Bibel mit den Füßen lesen heißt: bereit sein aufzuspringen und zu handeln. Wenn das Wort Gottes uns antreibt. Damit ich handle, damit ich wirklich Gerechtigkeit, Nähe, Liebe in mein Leben bringe und den Abgrund überwinde.

Lass uns in Deinem Namen, Herr, die dafür nötigen Schritte tun. Loslaufen, machen, handeln. Das ist die Botschaft der Bibel. Den Abgrund zwischen oben und unten versuchen zu überwinden, zwischen Lazarus und dem Reichen, zwischen den Extremen – zwischen den Extremen da draußen und den beiden Seiten in mir drin. Denn hier in mir wird Gottes Reich zuerst lebendig.

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